TINY HOUSE

Stadt

 

TEXT: JANINE ANDERSON
FOTOS: ANNA SALEMI
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Der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel vor seinem Bauhaus

Wie sozial ist das Leben in der Stadt? Wie wollen wir in Zukunft wohnen? Der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel ist Begründer der „Tiny Foundation“ deren Anspruch es ist, dass jeder Mensch ein Recht auf Stadt und Gemeinschaft hat. Mit seinen Tiny Häusern versucht er genau dies zu erreichen und bezeichnet sie auch gerne als trojanische Pferde, die aktuell durch ganz Deutschland ziehen. Mit seiner Wohnmaschine, im Stil des Dessauer Bauhauses, hat er auch in Ulm Halt gemacht und mit uns und dem Ulmer Architekten Axel Nething über die Zukunft der Städte, soziale Nachbarschaft und darüber, was Tiny Häuser damit zu tun haben, gesprochen.

Was bedeutet soziale Nachbarschaft eigentlich?
Van Bo: Soziale Nachbarschaft bedeutet, dass Menschen in Städten nicht vereinsamen. Dafür sind zwei Dinge entscheidend: zum einen, dass Menschen so anonym sein können, wie sie es brauchen und zum anderen auf eine Gemeinschaft in unmittelbarer Nähe zurückgreifen zu können. Ich nenne das gerne Pantoffeldistanz.

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Autorin Janine im Gespräch mit Van Bo und Axel (v.l.n.r.)

Ist das Wohnen in der Stadt aus architektonischer Sicht für soziale Nachbarschaft geeignet?
Van Bo:
In Wohnblöcken mit der Anzahl an Mietern in der Größenordnung eines Dorfs wird es natürlich schwierig. Aber innerhalb einer Etage ist das durchaus möglich. Es muss natürlich nicht ebenerdig sein.
Axel: Der amerikanische Soziologe und Harvard Professor Robert Putnam spricht zum Beispiel vom sogenannten Sozialkapital. Dabei misst ein Faktor anhand unterschiedlichster Statistiken, wie das Sozialkapital einer Gesellschaft aufgestellt ist. Wo beispielsweise mehr fern gesehen wird, sinkt das Sozialkapital. Ich finde, dass Architektur auch ein Mittel sein kann, um auf kreative und gestalterische Weise Probleme in der Gesellschaft anzugehen. Wie eben mit den Tiny Houses.

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Ihr sprecht auch vom gemeinschaftlichen Wohnen in der Stadt. Haben wir das verlernt?
Van Bo: Ja man kann sagen, dass Gesellschaften, die im Überfluss leben, weniger gemeinschaftlich sind und mehr ich-zentriert.
Axel: Hinzufügen kann man an der Stelle auch, dass Menschen heutzutage die Tendenz haben, sich aus dem öffentlichen Raum in das häusliche Privatleben zurückzuziehen. Das nennt man „Cocooning“. Menschen gehen nicht mehr raus und trinken gemütlich ihren Espresso, sondern kaufen sich eine Espressomaschine für Zuhause oder legen sich ein Heimkino zu, anstatt einen Film im Kino oder etwas im Theater anzusehen. So vereinsamen Menschen eben auch.

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Beeinflussen aktuelle Trends wie Minimalismus und Downsizing das Wohnen auf kleinem Raum?
Van Bo: Ja auf jeden Fall. Minimalismus und Downsizing funktioniert ja als Gegentrend in einer Gesellschaft in der Hyperkonsum vorherrscht. Demnach ist gerade auch die Tiny House Bewegung eine Antwort auf eine saturierte Gesellschaft.

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Autorin Janine im Gespräch mit Van Bo und Axel (v.l.n.r.)

Was macht einen Ort zu einem Zuhause, wenn die Größe anscheinend irrelevant ist?
Van Bo: Dort wo man lebt, ist man freiwillig. Axel sitzt hier in diesem Tiny House, weil er es möchte und toll findet. Sperrt man einen Häftling hier für zwei Monate ein, dann wird dieser es vermutlich weniger angenehm finden.
Axel: Stimmt. Man denke nur mal ans Zelten. Schläfst du im Campingurlaub in einem Zelt, findest du es romantisch. Wenn ein Mensch in einem Flüchtlingslager im Zelt leben muss, weil er sein Zuhause aufgeben musste, eher nicht.
Van Bo: Der zweite wichtige Punkt ist der eigene Rückzugsort. Jeder Mensch braucht einen Raum in dem er die Tür zu machen kann, ein Fenster öffnen und sich autonom versorgen kann. Als letzten Punkt, den ich eingangs schon genannt habe, ist der Zugang zur Gemeinschaft in Pantoffeldistanz. Das kann die Eckkneipe sein oder die Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss. Die Pantoffeldistanz ist entscheidend.

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Ist ein Tiny House dazu nicht ein Gegensatz?
Van Bo: Nein gar nicht. Solange man es schafft, auch hier Rückzugsorte zu schaffen und sich visuell abschotten kann, im besten Fall natürlich auch akustisch, ist die Größe nicht entscheidend.

Wie kommt man denn an ein Tiny House?
Van Bo: Das ist ganz einfach. Du bestellst es bei einem der rund 20 Hersteller. Oft sind die schon fertig gebaut und du bezahlst es einfach wie ein Auto.

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Was entgegnen Sie Leuten, die das Ganze als Selbstverwirklichungstrip privilegierter Städter bezeichnen?
Van Bo: Da ist auf jeden Fall was dran. Aber ich würde behaupten, dass dies grundsätzlich nicht negativ ist an der Tiny House-Bewegung ist. Es ist ganz klar eine Bewegung des Mittelstands. Man könnte demnach auch kritisieren, dass Menschen sich ein Lastenrad für ein paar tausend Euro zulegen, ohne dass sie es bräuchten, oder dass sich Leute nur bio und vegan ernähren, weil sie es sich ja schließlich leisten können. Man könnte doch auch sagen, wie toll es ist, dass Menschen in der Mittelschicht umdenken und eben nicht die Doppelhaushälfte und das große Auto brauchen und sich eben nicht über Konsum und Dinge definieren.
Axel: Wenn sich ein vermögender Mensch ein Tiny House als zusätzliches Gadget zulegt, kann man das durchaus kritisch sehen. Auf der anderen Seite gibt es aber zum Beispiel ein junges Paar, das eben keine halbe Million für ein Haus ausgeben möchte oder kann, sich aber dennoch den Traum vom Eigenheim mit einem Tiny House erfüllen könnte.

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Wie ist die Resonanz auf die Tiny Häuser? Gibt es da Erfahrungswerte?
Van Bo: Menschen, die sich bei mir melden und hier freiwillig probeweise schlafen, finden es meistens toll. Das ist natürlich nicht repräsentativ. Das Problem der Romantisierung ist aber da, denke ich. Viele haben die Vorstellung von Freiheit, wie der einstige Cowboy aus der Marlboro-Werbung. Das ist aber nicht meine Vorstellung davon. Dann hat man es zwar grün um sich herum aber keine Freunde und somit ja auch keine soziale Nachbarschaft. Leute, die diese Vorstellung davon haben, asozialisieren sich ja auch ein Stück weit. Sie glauben, dass ihr eigenes Glück im Mittelpunkt der Gesellschaft steht. Und das ist wirklich ein Fehler, wenn man eben glaubt, dass in diesem Fall der Ganze Wald nur für einen alleine da ist.

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Können Konzepte außerhalb der Stadt überhaupt sozial sein?
Van Bo: Nein, für mich nicht. Alles, was man außerhalb der Stadt an Verwirklichung macht, sei es Eigenheim, Doppelhaushälfte oder Villen geht auf Kosten der Gemeinschaft.

Ist es aber nicht so, dass gerade in ländlichen Gegenden mehr Gemeinschaft herrscht als in der Stadt?
Van Bo: Das kommt darauf an, wie man Gemeinschaft definiert. In ländlichen Gegenden besteht eine Gemeinschaft oft aus Menschen, die gleichgesinnt und sich ähnlich sind. Ich denke es ist ein Fehler, wenn Menschen innerhalb einer Gesellschaft zu gleich sind. Es braucht Reibung, es braucht Verschiedenheit, damit eine Gesellschaft resilient bleibt. Diese Verschiedenheit hat man meist nur in Städten.

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Wie fügen sich Tiny Häuser in Zukunft in unser Stadtbild ein?
Van Bo: Es geht mir gar nicht so sehr um die Tiny Häuser an sich. Ich nenne es eher „Internet of Spaces“. Man spricht ja auch vom „Internet of Things“, wonach unterschiedliche Dinge miteinander kommunizieren. „Internet of Spaces“ bedeutet, durch Technologie verschiedene Räume, egal ob öffentlich, privat oder noch nicht erschlossen, zu vernetzen und verfügbar zu machen. Leerstehende Räume könnten effizienter genutzt werden. Stadtplanung ist wie eine Symphonie. Es sollten nicht alle dieselben Instrumente spielen, sondern eben Flöten, Pauken und Harfen aufeinandertreffen. Das Tiny House ist in dieser Stadtsymphonie die kleine Piccoloflöte. Diese Vielfalt vermisse ich in der aktuellen Städteplanung. Jeder spielt sein eigenes Lied – die Hotellobby, die Bankenlobby, die Wirtschaftslobby die Immobilienlobby. Ab und zu sollte man sich aber treffen, um mal wieder die großen Themen zu behandeln, wie eben soziale Nachbarschaft, gemeinschaftliches Wohnen oder aber auch Obdachlosigkeit. Das muss eine Gesellschaft aushalten können, denn es gehört einfach dazu.
Axel: Um dieses Bild mal aufzunehmen. Deswegen funktioniert ein Dubai nicht, denn da gibt es nur Pauken und deswegen funktioniert ein New York sehr gut, denn da gibt es alle Instrumente.

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Sind Tiny Häuser also auch ein Werkzeug, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen?
Van Bo: Ich bin fest davon überzeugt, dass wenn du einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen möchtest, wie es zum Beispiel Architekten wie Gropius und Le Corbusier getan haben, dann brauchst du eine Geschichte die Menschen zum Umdenken anregt. Sonst gibt es keine Klimawende, keine Mobilitätswende, keine Wohnungswende. Du brauchst eine ästhetische Geschichte und Tiny Häuser können so eine Geschichte sein.

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Bei Ihrer Vortragsreihe für Mitarbeiter und interessierte Gäste, will die NETHING-Akademie neben der fachlichen Weiterbildung Einblicke in andere Lebens- wie Berufserfahrungen geben.
Im Rahmen eines Abends mit Architekt Van Bo Le-Mentzel, holten Axel Nething und sein Team das kleine Dessauer Bauhaus nach Ulm, in die Heimat von Max Bills HfG.
www.nethingakademie.de