LOST PLACE

PRYPJAT

 

PHOTOGRAPHY:
LARS ALTSTADT

www.altstadt-ulm.de

 

In jeder Ausgabe präsentieren wir euch eine ganz besondere Reise. Dieses Mal nimmt uns Lars Altstadt mit auf eine beeindruckende Fotoreise nach Prypjat.

TEXT & FOTOS: LARS ALTSTADT

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In einem Sprinter fuhren wir durch die Landschaft der Nord-Ukraine. Sonnenschein, blauer Himmel und Weizenfelder begleiteten uns auf dem Weg in die Sperrzone von Tschernobyl.

Für die rund 180 Kilometer von Kiew aus benötigten wir etwa dreieinhalb Stunden Fahrt, um unser Ziel zu erreichen. Die Straßen zur militärischen Sperrzone werden bei Annäherung zunehmend schlechter. Es ist schon fast beängstigend, wenn man über fast zwei Stunden keinen Verkehr mehr wahrnimmt. Alles ist leer und einsam.

Die gesamte Fahrt über hat uns unser Guide, welcher zum offiziellen Betreten der Sperrzone notwendig ist, bestens mit Gesprächen und Aufklärungsarbeit bezüglich der Strahlungsthematik und durch Dokumentationen neuester Erkenntnisse und Werte vor Ort, unterhalten. Doch je mehr man sich dieser Realität nähert, desto komischer wird einem in der Magengegend. „War es die richtige Entscheidung, sich dieser Gefahr auszusetzen? Wie gefährlich ist es wirklich?“, fragte ich mich während der Fahrt immer wieder. Die Stimmung wurde andächtiger und allen anderen ging es ähnlich.

Alle stellen die eine, wichtige Frage: „Wie gefährlich ist das Betreten der Sperrzone wirklich?“ Eine Antwort darauf wird man leider nicht bekommen, nicht einmal nach Ende der Reise.

Ich habe die Reise in diese Zone rund um die verlassene Stadt Prypjat für mich zur No-Touch Area auserkoren, es wird einfach nichts angefasst, nur wenn es gar nicht anders geht. Die Umgebungsstrahlung in der Zone ist nachweislich, durch Dosimeter, nicht wirklich gefährlich. Vergleichbar nahmen wir während unseres Besuchs in der Sperrzone weniger Strahlung auf, als auf dem Flug nach Kiew. Was man leider nicht messen kann, ist die Aufnahme radioaktiver Partikel durch die Luft, da man sich auch in staubiger Umgebung, zerfallenden Gebäuden und freier Natur bewegt. Auch hier gibt es nach wie vor Stellen mit starker Strahlung und sehr hohen Strahlungswerten. Deswegen kann man einen Besuch dieses Ortes nur gegenüber sich selbst verantworten.

Wieso bin ich überhaupt dort hin gefahren? Das Ereignis habe ich 1986 miterleben dürfen. Natürlich war man sich damals als Kind und vielleicht auch als Erwachsener nicht bewusst darüber, was es wirklich mit diesen Geschehnissen auf sich hatte. Supergau, Fallout und Radioaktivität waren als Begriffe plötzlich allgegenwärtig und prägten ein neues Zeitalter. Plötzlich war es verboten, auf Wiesen oder im Wald zu spielen. Unser „normales“ Leben wurde sanktioniert. Das hat mich schon immer bewegt und geprägt, später in der Schule zählte „die Wolke“ von Gudrun Pausewang zu meinen Lieblingsbüchern, welches ein solches Unglück in Deutschland widerspiegelt. Nicht aber aus Furcht, sondern aus Interesse und Spannung. Mein ganzes bisheriges Leben blieb dieses Interesse bestehen und ich wusste, wenn sich die Möglichkeit ergibt, muss ich dort hin. In Kombination mit der Fotografie und dem Besuchen diverser Lost Places, natürlich um so mehr.

Die Eindrücke vor Ort waren krass. Unfassbar, wozu wir Menschen in der Lage sind. Und was mich nach dieser Reise noch lange begleiten wird, ist der Gedanke daran, dass wir Menschen so unheimlich gut im Ignorieren sind.

 

LARS ALTSTADT *1980 in Ulm, (Foto: Lars Altstadt),

LARS ALTSTADT
*1980 in Ulm