DANCING QUEEN

Körper, Leidenschaft, Gefühl – so beschreibt Ines Meißner Tanz in drei Worten. Die gebürtige Memmingerin ist seit 2013 am Ulmer Tanzensemble Strado Compagnia Danza engagiert und stand auch schon mehrere Jahre auf der Jungen Ulmer Bühne. Zudem unterrichtet sie Ballett, Jazz, Modern und Contemporary Dance am dansarts ballett centrum ulm und bei der TSG Söflingen in Ulm, sowie an der Dancing School Tosca in Memmingen. Wir haben mit Ines über ihren Weg, ihr Leben und auch über ihren beruflichen Alltag als professionelle Tänzerin gesprochen 

Fotos: Ralf Schuck
Text: Heidi Werner

Ines, du bist einen nicht ganz gewöhnlichen Weg gegangen und Tänzerin geworden. Wie kam es dazu? 

Ich habe im Kindergartenalter angefangen zu tanzen, als mich eine Freundin zum Ballett an der Dancing School Tosca in Memmingen mitgeschleppt hat. Dort habe ich jahrelang leidenschaftlich getanzt. Ich bin von der Schule nach Hause gekommen, habe schnell Hausaufgaben gemacht und bin dann ins Ballett oder ins Jazz. Nach dem Abi war mein Plan an Hochschulen vorzutanzen. Das war in Deutschland sehr schwierig, weil Mädchen größer als 1,60 Meter und Hungerhaken sein mussten. Sehr klassische Ballerinen also. Und das bin ich nicht. 

Trotzdem bist du an einer Hochschule angenommen und zur Tänzerin ausgebildet worden. 

Ja, es hat doch geklappt. Zuerst war ich für zwei Jahre an einer Privatschule, der BallettAkademie in Fürth. Das war der Start in die Ausbildung und ins Training, jeden Tag von morgens bis abends. Mit zwei anderen Schülern bin ich dann nach Holland gefahren, um an der ArtEZ Akademie, der Hochschule für Künste in Arnheim, vorzutanzen – zwei Tage lang von morgen bis abends. Dort habe ich schließlich meinen Bachelor of Dance gemacht, ein Hochschulstudium in Bühnentanz. Weiter ging es nach Rotterdam, wo ich in der Conny Janssen Danst Kompanie getanzt habe. Das war mein erster Job als Profitänzerin. 

Und dann bist du als Profitänzerin nach Ulm gegangen? Ulm ist ja nicht gerade bekannt für Tanz. 

Der Grund war Liebe. Als ich nach Holland gezogen bin, hat sich mein damaliger Freund und jetziger Mann, der aus Ulm kommt, für mich von der Arbeit aus nach Nordrhein-Westfalen versetzen lassen. Als mein Engagement in Arnheim vorbei war, wollte Patrick wieder zurück nach Ulm. Einmal sind wir hierher gefahren um seine Eltern zu besuchen und ich bin zum Modern Dance Kurs im dansarts ballett centrum gegangen, um zu trainieren. Domenico Strazzeri, der den Kurs geleitet hat, hat mich gesehen, gesagt: „Du bist Tänzerin!“ und mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, bei einem Projekt mitzumachen. Nachdem Patrick für mich damals sein Umfeld zurückgelassen hatte, dachte ich mir: “Jetzt mache ich es für ihn und ziehe mit ihm nach Ulm”. Ich habe Domenico im Sommer 2012 zugesagt. So kam ich zur Strado Compagnia Danza und durch Judith Seibert, die in dem Projekt involviert war, auch an die Junge Ulmer Bühne. 

Kannst du dich in Ulm tänzerisch ausleben? 

Ulm hat leider keine Tanzszene. Ulm hat das Theater, das sein Publikum hat. Und Ulm hat Domenico, der seit 20 Jahren versucht hier Fuß zu fassen. Profitraining für die freie Szene gibt es nicht. Da blutet mein Herz so ein bisschen. Viele Menschen haben mich gefragt, warum ich nicht noch einmal vortanzen gegangen bin. Wenn man als Tänzerin anfängt, denkt man schon an Karriere. Man möchte in dieser Kompanie tanzen oder von jenem Lehrer lernen. Für mich war es tatsächlich eine Entscheidung für meinen Mann: Es klingt kitschig, aber mir war die Liebe immer wichtiger als mein Tanz – ich meine, nicht meine Leidenschaft zum Tanz, sondern meine Karriere. Und eigentlich haben kleine Kompanien, wie die Strado Compagnia Danza, etwas sehr Schönes, weil man sich als Tänzer tatsächlich mehr ausleben kann. Man wird ganz anders eingesetzt und gefördert, als in großen Kompanien.

Was ist in einer kleinen Kompanie anders als in einer großen? 

Bei Domenico waren wir eine Zeit lang gerade mal zu viert. Das ist natürlich viel persönlicher: Ich kann eine Rolle bekommen, die zu mir passt, oder ein Solo, weil es meinem Typ entspricht. Zudem haben wir im Entstehungsprozess sehr viel Mitspracherecht. Natürlich gibt es schneller mal Streitereien, gerade in Phasen, in denen man mit dem Stück nicht weiterkommt. Das ist oft die anstrengendere Arbeit, als das Tanzen selbst. In Kompanien mit 30 Tänzern hingegen ist die Konkurrenz riesig. Wenn du nicht Nummer eins bist, kriegst du kein Solo und kein Duett. Es steckt auch viel mehr Business, viel mehr Geld dahinter. 

Deine Brötchen verdienst du wahrscheinlich eher mit dem Unterrichten? 

Richtig. Unterricht gebe ich ganzjährig und die Projekte mit Domenico finden zweimal im Jahr, jeweils drei Monate lang statt. Mein Haupterwerb ist also die Pädagogik, was für mich tatsächlich schön ist. Es gibt sicher auch Tänzer, die nur unterrichten, weil sie es müssen. 

Stehst du lieber auf der Bühne oder im Unterrichtssaal? 

Es gibt kein „lieber“. Dass das Unterrichten mir Spaß macht, merke ich gerade jetzt in Zeiten von Corona. Beim Unterrichten über Zoom (Videotelefonie-Anbieter, Anm. d. Red.) fehlt der zwischenmenschliche Kontakt. Genau das ist aber das Schöne daran – dass man Menschen um sich hat und sieht, wie sie sich entwickeln und verbessern. Es ist eine ganz andere Arbeit als auf der Bühne. 

Auf der Bühne geht es um dich, wie du dich ausdrückst und die Rolle interpretierst. 

Es ist schon Selbstdarstellung. Obwohl es vielleicht gar nicht immer um den Applaus geht, sondern mehr um das Gefühl, das beim Tanzen in einem selbst entsteht. Es kommt aber auch darauf an, ob einem der Tanzstil liegt und wie frei man interpretieren darf. Wenn es passt, dann fühlt man sich sehr, sehr frei, man wird Eins mit der Bewegung und muss auch nicht mehr an die Choreographie denken. 

Wie lange bereitet man sich auf eine Tanzaufführung vor? Probt man jeden Tag? 

Bei Domenico beginnt das Winterprojekt im Oktober und man probt jeden Tag, von Montag bis Freitag, bis zur Aufführung Ende Dezember. Normalerweise geht es um 10 Uhr los, dann wird bis um 16 Uhr getanzt, gearbeitet und choreographiert, manchmal länger, manchmal kürzer. 

Das klingt nach einem Vollzeitjob. Ist Tanzen für dich letztendlich einfach ein normaler Beruf? 

Auf jeden Fall. Manchmal wache ich auf und denke mir, “Ich habe keinen Bock. Ich will auf dem Sofa bleiben und mich nicht bewegen”. Ich glaube, das ist ganz normal. Nach einem Projekt und Auftritten genieße ich es, den Fokus wieder auf das Unterrichten zu legen. Oder wenn nach einigen Monaten die Proben wieder anfangen, ist das auch toll. Doch wenn ich um 10 Uhr morgens mit der Arbeit für das Projekt beginne und dann bis um 9 Uhr abends unterrichte, bin ich irgendwann durch. Manchmal ist es tatsächlich nicht so schön. 

Glaubst du, dass sich Ulm als Stadt für Tanz noch weiterentwickeln kann? 

Ich denke schon. Allerdings war ich geschockt, als vor zwei Jahren Hofesh Shechter, eine Kompanie mit großem Namen, beim „Ulm Moves!“-Tanzfestival war und es Schwierigkeiten gab, Tickets zu verkaufen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass das Publikum hier noch nicht so weit ist, oder daran, was im Hintergrund passiert.. Ich glaube es ist nicht einfach. Domenico und seine Kompanie gibt es schon so lange, aber den meisten Leuten fällt zu Tanz nur das Theater Ulm ein. Wie kann es sein, dass das hier nicht ein bisschen mehr gestreut hat? Das finde ich wirklich schade. Denn eigentlich hat Ulm als Stadt alles, um so weltoffen zu sein, um moderne, zeitgenössische Kunst, Schauspiel und Tanz zu zeigen.